Aufgeführt wird
hier ein Erlebnisbericht von Quirin Gerstl:
Schon seit meiner frühestens Jugend liebte ich nichts so sehr als
die Reiseberichte mutiger Seefahrer und heldenhafter Forscher. Die
Beschreibungen unbekannten, ferner Länder erweckten in mir eine
starke Sehnsucht nach der weiten Welt. Tatsächlich wurde mein
Jugendtraum beglückende Wirklichkeit: ich kam zur stolzen deutschen
Flotte. Als Matrose lernte ich die halbe Welt kennen. Mit der S.M.S.
Comoran segelten wir jahrelang in den Gewässern der Fernen Ostens
herum. Wir exerzierten auf den Südseeinseln, marschierten durch
Hongkong, promenierten durch japanische Hafenstädte, taten Dienst in
Tsingtau, erholten uns in Australien. Im Januar 1911 war ich auf
Ponape, wo kriegslustige Stämme gegen Deutschlands Herrschaft sich
auflehnten. Ich erlebe dort mein erstes Gefecht, bei dem Leutnant
zur See Otto Ehrhard durch eine Kugel aus dem Hinterhalt erschossen
wurde. Eine Reihe deutscher Schiffe, darunter die im Weltkriege so
berühmt gewordene „Emden“, nahmen an der Niederwerfung des
Aufstandes teil.
1912 kehrte ich
in die Heimat zurück. Als der Krieg ausbrach, meldete ich mich
freiwillig. Ich hoffte, zur Marine zu kommen. Wie enttäuscht aber
war ich, als ich einer Maschinengewehr-Abteilung zugeteilt wurde.
Trotzdem gab ich die Hoffnung, von der Erde wegzukommen keineswegs
auf, sondern meine Gedanken wurden sogar sehr hochfliegend. Im März
1916 ging mein Wunsch auf eine seltsame Art in Erfüllung. Als wir
zum Appell angetreten waren, wollte ich mein Anliegen „betreff
Meldung zu den Luftschiffern“ vorbringen. Ehe ich aber vortreten
konnte, wurde mein Name aufgerufen. Man teilte mir mit, dass ich in
Dresden – als Luftschiffer ausgebildet werden sollte. Sofort packte
ich meinen Kleidersack und haute ab.
Nicht lange war
ich in Dresden, da wurde ich nach Fuhlsbüttel bei Hamburg geschickt.
Selbstverständlich interessierte mich die Hafenstadt Hamburg genau
so wie der Fuhlsbütteler Flugplatz. An einem Samstag Nachmittag
machte ich mich zum Ausgang bereit. In unsere Bude schattete die
wuchtige Zeppelinhalle, die ja dicht neben unserem Heim lag. Nun,
einen Nachmittag will ich dich vergessen, dachte ich mir. Auch meine
Kameraden waren schon voller Freude über den bevorstehenden
„Hamburger Bummel“. Da geschah etwas, was uns vor Schrecken
erstarren ließ. Aus der Halle schlugen Flammen empor, Rauchschwaden
wälzten sich über das ganze Gelände, Feuergarben schossen
hinterdrein, gewaltige Detonationen folgten, Trümmer schwirrten
durch die Luft, glühende Träger wurden emporgewirbelt, ein
Eisenhagel trommelte auf das Dach unseres Heimes, unsere Fenster
klirrten, der Boden erzitterte – die Hölle war los.
Und dann lag vor
uns ein ungeheurer rauchender Trümmerhaufen. Die verbeulten,
geborsteten und zerfetzten Gerippe der beiden Luftschiffe „L 6“ und
„Sachsen“ ragten gespenstisch aus dem Chaos der völlig zerstörten
Halle. Niemand wusste um die Ursache dieser furchtbaren Katastrophe.
Tondern war
unser Hafen und unser Schiff trug den Namen „L 24“, das
Kapitänleutnant Friemel führte. Der Kommandant war im Dienst ein
energischer Führer, eisern in seiner Pflichtauffassung und
Disziplin, aber gerecht und immer und überall ein guter Kamerad.
Unsere Aufgabe war es, Aufklärungsfahrten durchzuführen. Es waren
herrliche, unvergessliche Fahrten, wenn sie auch manchmal durch
strömenden Regen und dichten Nebel gingen. Der unverwüstliche
Kameradschaftsgeist half über alle trostlosen Tage hinweg und gewann
selbst in den dreckigsten Stunden die schönsten Erinnerungen ab. Wie
begeistert waren wir alle zusammen, wenn wir in drei- und
viertausend Meter Höhe dahinfuhren und unter uns die Welt im
Sonnenuntergangsfeuer brannte, wenn unser Schiff in das
Silberscheinen des Mondes glitt oder im jagenden Wolkenmeer die
aufgehende Sonne sich in allen Farben brach. Meist führten uns die
Aufklärungsfahrten über die Nordsee, um die Minensuchboote zu
sichern. Die „Minensuchfahrten“, wie wir sie nannten, waren hier und
da nicht ungefährlich. Unser Luftschiff ging oft auf 200 und sogar
auf 100 Meter herab. Ununterbrochen waren die deutschen Luftschiffe
unterwegs, um die Marine in ihrem Kampfe zum Schutze der
heimatlichen Küste zu unterstützen. Diese Aufklärungsfahrten
befriedigten aber den Tatendrang der Besatzung von „L 24“
keineswegs. Mit Neid blickten wir auf jene Luftschiffe, die zur
Fernfahrt aufstiegen oder von einer solchen zurückkehrten. Fernfahrt
bedeutete Luftangriff auf England, bedeutete Kampf und Sieg. Am 27.
Oktober 1916 stiegen wir zur ersten Fernfahrt auf. Es war mittags 1
Uhr, als wir das Schiff aus der Halle brachten. Das Wetter war für
einen Luftangriff ideal. Wir hatten gute Fahrt. Unter uns wanderte
schnell das Land, die Küste, das Meer, und doch ging uns die Fahrt
zu langsam. Wir konnten die englische Küste kaum erwarten. Mit 90 –
120 Stundengeschwindigkeit brauste der Zeppelin durch die
stockfinstere Nacht. Hoffentlich bleibt es so diesig, dachten wir.
Ich stand auf
der Plattform des Luftschiffes. Ein eisiger Wind knatterte uns
entgegen. Was kümmerte mich die Kälte – ich war glücklich, wenn ich
von meinem lustigen Stand einen Blick in die Tiefe tun konnte. In
3000 Meter Höhe flogen wir. Ich sah auf die Uhr. Es war zehn Uhr
nachts. Die englische Küste musste bald kommen. Durch die
Wolkenschleier sickerte das silberfahle Scheinen des Mondes. Einige
Wolkenfetzen von gespenstischen Formen kamen auf uns zu – und dann
war es sternenklar über uns. Und mondhell !
Tief vor uns
leuchteten mit einmal die Lichter der englischen Küste auf. Wir
sahen sogar die hellen Streifen der Brandung. Solche Nächte waren
für Luftangriffe höchst unerwünscht. Als wir über der Küste waren,
fiel zu aller Entsetzen der vordere Motor aus. Streicheln und
Zureden halfen nichts. Der Motor wollte nicht mehr. Mit äußerster
Anstrengung versuchte der Maschinist, den Motor wieder in Gang zu
bringen. Unser Kommandant, der die Verantwortung für Schiff und
Besatzung trug, erwog den Gedanken der Rückkehr. Die Geschwindigkeit
minderte rasch ab. Umkehren ? Sollte so die erste Fernfahrt enden ?
Ohne Kampf ? Nein ! Unser Kommandant wagte den Angriff. Scarborough
hieß das Ziel. Nicht lange dauerte es, da schnellte ein grelles,
blendendes Licht empor. Gleich einem riesigen Arm tastete der
Scheinwerfer den nächtlichen Himmel ab. Da hatte er auch schon unser
Schiff gefasst und ließ es nicht mehr los. Tausend Feuerschlünde
öffneten sich. Die Abwehrbatterien bellten, Schrapnellwölkchen
spritzten hoch, Heulen und Pfeifen erfüllte die Luft. Unsere Bomben
sausten in die Tiefe. Wir sahen das Aufflattern von roten
Feuerfahnen. Unser Schiff stieg auf eine Höhe von 3400 Metern. Ich
stand immer noch auf der Plattform im brausenden Winde. Wenn ich in
die Tiefe sehen konnte, beobachtete ich Hunderte und Hunderte von
Mündungsfeuern. Irgendetwas zwang dann meinen Blick gerade aus. Mir
war es so, als hätte ich ein Luftschiff im Scheinwerferlicht
aufblitzen sehen. Es war wirklich ein Zeppelin, der alle
Anstrengungen machte, dem gefährlichen Leuchtstreifen zu entfliehen.
Unablässig verfolgte ich den Kampf des Kameraden da vorn. Da – ich
wagte kaum mehr zu atmen – stand das Luftschiff in Flammen. Einige
Sekunden schwebte der Feuerball weiter, dann neigte er sich und fiel
und fiel – „L 34“ stürzte brennend in die Tiefe.
Am 28. Dezember
1916 stiegen wir wieder einmal zur Minensuchsicherung auf. Es war
unsere Aufgabe, darüber zu wachen, dass unsere Minensuchboote von
feindlichen Angriffen nicht überrascht wurden. An diesem Tage aber
hatten wir derart schlechtes und stürmisches Wetter, dass wir gegen
Nachmittag einlaufen mussten. Wir sahen mit großen Bangen der
Landung entgegen, die bei solchen Böen nicht ohne Gefahr für das
Luftschiff war. Durch ein besonderes Signal wurden sämtliche
Mannschaften des Flugplatzes zum „Notmanöver“ alarmiert. Selbst die
gefangenen Russen wurden zur Unterstützung des Haltemannschaften
angefordert. Unsere Landung war zwar gelungen, aber das Einbringen
des riesigen Schiffes in die Halle war fast unmöglich, so stark
sprang der Wind über den Platz. Unter Anwendung aller nur
erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen gelang es, das Schiff zu einem
Drittel in die Halle zu bringen. Mit einemmal wurde der Zeppelin
derart quer gedrückt, dass die Spitze, die sich schon im Innern
befand, gegen einen Träger gepresst wurde. Funken sprühten, Flammen
zischten auf und im Nu brannte das Luftschiff lichterloh. Im
Augenblick des Beginns der Katastrophe stand ich noch am Ruder. Ich
sprang durch das Fenster in die Tiefe. Auch die übrige Besatzung
konnte sich noch rechtzeitig in Sicherheit bringen. Aber die Bomben
! Im Luftschiff befanden sich drei Ein-Zentner-Bomben und mehrere
25-Pfund-Bomben. Merkwürdigerweise erfolgte keine Explosion. Waren
sie ausgeblasen oder waren sie herausgerissen ?
L 24, unser
ruhmvolles Schiff, das uns zu dem erfolgreichen und viel beachteten
Angriff auf Scarborough trug, verbrannte bis auf einen ärmlichen
Rest.
Wir erhielten „L
30“, den wir bald wieder abtreten mussten.
Im Juli 1917
holten wir in Berlin-Staaken „L 52“ ein neu erbautes Luftschiff, das
wir nach Wittmundshaven überführten. Verschiedene Höhenfahrten, bei
denen wir auf 5600 und 5700 Meter Höhe gingen, bewiesen dessen
Verlässigkeit. Am 21. August 1917 befanden wir uns in 5000 Meter
Höhe über der Nordsee, als wir plötzlich von gewaltigen Wetterwolken
eingeschlossen wurden. Ich stand auf der Plattform des „L 52“ und
beobachtete die Gewitterwolken, zwischen denen wir hindurchschlüpfen
wollten. Zwei Stunden umflammten uns die Blitze, die immer dichter
und schärfer wurden. Ein unheimliches Gefühl beschlich uns, wie
unser mit brennbarem Gas gefüllter Riese zwischen den Gewittern hin
und her manövrierte. Wir dachten an „L 10“, das brennend aus den
Gewitterwolken stürzte. Wie durch ein Wunder entkamen wir diesem
entsetzlichen Schicksal. Am 24. September 1917 unternahmen wir zum
erstenmal mit unserem neuen Luftschiff eine Fernfahrt. Das Ziel war
Grimsby. Die Fahrt verlief zunächst glatt und wir sahen die Lichter
der englischen Küste, als ein Motor aussetzte. Wir wurden um die
eigene Achse gedreht. Da entdeckten wir, dass nur mehr ein Motor in
Gang war. 5200 Meter unter uns blitzten die Lichter von England,
lauerten die Scheinwerfer, waren die Abwehrbatterien bereit. Hätte
uns der Engländer in dem Augenblicke dieses Missgeschickes bemerkt,
wären wir rettungslos verloren gewesen. Wir gaben den Angriffsplan
auf und versuchten, aus dem Gefahrenbereich herauszukommen.
Wahrhaftig – das Glück war mit uns. Die Motoren begannen plötzlich
wieder zu arbeiten, sie ließen uns nie mehr im Stiche, sondern
leisteten seitdem Großartiges.
Wir haben ihn nicht vergessen.
Der Verfasser
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